Der Nachwuchs steht bereit

08.01.1996

Schweizer Zweierbob-Meisterschaft: Götschi gewinnt vor Rohner und weist den Nachwuchs nochmals in die Schranken

Der Favorit Reto Götschi gewinnt vor Marcel Rohner die Schweizer Zweierbob-Meisterschaft in St. Moritz. Doch bereits dahinter folgen mit Christian Reich und Fredi Steinmann zwei Nachwuchsfahrer, von denen in Zukunft noch einiges erwartet werden kann.

Urs Gusset

Dass mit Reich und Steinmann gleich zwei Nachwuchs-Piloten des BC Zürichsee positiv überraschten ist kein Zufall. Kein anderer Verein kümmert sich so professionell um den Nachwuchs wie die Zürcher hinter deren Erfolgen vor allem Erich Schärer und Präsident Heinz Moergeli stehen.

Reichs Wechsel

Der 29 Jahre alte Aargauer Christian Reich machte sich bereits als Anschieber bei den Schlitten von Nico Baracchi und Christian Meili einen Namen. Sein grösster Erfolg in dieser Zeit war der Gewinn der Silbermedaille bei der Viererbob-WM 1989 in Cortina d'Ampezzo. Nach der Olympiade 1994 in Lillehammer ergriff Reich dann selber die Steuerseile. In seiner erst zweiten Saison gewann er nun bereits überraschend eine Medaille. Darüber war der Freiämter jedoch am wenigsten erstaunt. «Ich habe mir eine Medaille zum Ziel gesetzt.»

Noch grosse Reserven

Reichs Optimismus basiert auf seinen fahrerischen Fortschritten, seinen athletischen Fähigkeiten am Start und seinem Bohlet aus der Flugzeugwerft in Dresden. Neu ist dagegen sein Bremser Thomas Handschin, ein Zehnkämpfer, mit dem Reich am Start zu den Besten gehört. Dass er aber auch fahrerisch mithalten kann, bewies er im zweiten Lauf als er Götschi und Rohner knapp hinter sich lassen konnte, «Christian Reich kann noch viel weiter kommen», ist Heinz Mörgeli überzeugt. Er denkt dabei vor allem an die Europameisterschaften, die Ende Januar ebenfalls in St.Moritz stattfinden werden. «Auf seiner Heimbahn traue ich ihm eine Medaille zu.»

Ziel: Nagano

Die Sichtweise von Christian Reich geht jedoch noch ein Stückchen weiter. Sein Ziel sind die Olympischen Spiele 1988 in Nagano. «Dort will ich zuoberst auf dem Podest stehen», blickt Reich voller Zuversicht in die Zukunft. Damit würde er in die Fussstäpfen von Erich Schärer, Ekkehard Fasser und Gustav Weder treten, die zwischen 1980 und 1994 für den Bobclub Zürichsee vier olympische Goldmedaillen eroberten. «Unser Ziel ist immer der Sieg», umschreibt Moergeli die Klubphilosophie.

Zürichsee als Erfolgsgarant

Die Erfolge des BC Zürichsee sind kein Zufall, sondern basieren auf einer gezielten Aufbauarbeit. «Wir schenken dem Nachwuchs grosse Aufmerksamkeit», erklärt Moergeli nicht ohne Stolz. «Dies ganz im Gegensatz zum Schweizerischen Bobverband, der überhaupt nichts für den Nachwuchs macht», ärgert sich Erich Schärer. Neben Reich sorgt auch noch Fredi Steinmann, ein ehemaliger Skeleton-Fahrer, für Furore. Er wird sogar noch höher eingeschätzt als Reich. Sein Handicap liegt jedoch in seiner geringen Körpergrösse von 169 cm. Damit fehlen ihm am Start die athletischen Voraussetzungen, die im Bobsport unabdingbar sind.

Krach im Bobverband

Noch letztes Jahr leitete Schärer das Nachwuchsprojekt des Verbandes. Die Aussichten schienen gut, die Lücke, die Weder nach seinem Rücktritt hinterlassen hatte, möglichst schnell zu schliesen. Doch im Sommer kam es zum Eklat, weil Präsident Torriani versucht hatte, hinter dem Rücken der Technischen Kommission (TK) für Weder den Posten eines Technischen Direktors zu schaffen. Als Folge trat die TK fast geschlossen zurück. Deshalb kümmert sich Schärer jetzt im eigenen Klub um den Nachwuchs.

Fehlende Fahrerbetreuung

Unter den Verbandswirren hatte auch Christian Reich zu leiden. «Dieser Wirbel hat mich vor allem mental belastet. Deshalb will ich diesen Winter mit dem Verband so wenig wie möglich zu tun haben.» Er bemängelt primär die fahrerische Betreuung, die gerade für Neulinge wie ihn wichtig wäre. So ist Reich auf Tips von Schärer angewiesen. Dies zahlte sich auch bei der Suche nach drei neuen Anschiebern aus. Sowohl im Zweier mit Handschin wie auch im Vierer zusätzlich mit Nüssli und Graber gehört Reich zu den Startraketen. Er setzt dabei auf ein junges unerfahrenes Team. «Ich baue schon jetzt eine neue Mannschaft im Hinblick auf Nagano auf. Es nützt nichts, wenn ich mit Donat Acklin fahre, der bis dann nicht mehr aktiv sein wird.»


© Schweizerische Bodensee Zeitung, 08.01.1996